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Lebensmittelsicherheit soll international standardisiert werden
23/2000, 12.10.2000
Gesundheitsministerium weist BgVV Schlüsselrolle in der Risikobewertung zu
"Was wäre Ihre Antwort auf die Frage, ob unsere Lebensmittel tatsächlich sicher sind?"- Dr. Dieter Arnold, Direktor des Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin, nahm die Antwort vorweg, als er die Konferenz über "Internationale Perspektiven der Mikrobiologischen Lebensmittelsicherheit" in Berlin eröffnete: Wissenschaftler, Politiker oder Hersteller würden die Frage vermutlich eher mit "Ja" beantworten, Verbraucher eher mit "Nein". - Der Begriff der "Lebensmittelsicherheit" hängt maßgeblich vom Blickwinkel des Betrachters ab und stellt eine Momentaufnahme dar, die sich jederzeit ändern kann. Potentielle Risiken müssen deshalb rechtzeitig erkannt, bewertet und geeignete Maßnahmen ergriffen werden, um sie zu minimieren. Gleichzeitig muß der Nutzen in einer Relation zu den Kosten stehen, denn schon heute müssen erhebliche Anstrengungen unternommen werden, um den internationalen gesetzlichen Vorschriften zur Lebensmittelsicherheit zu genügen. Hierbei setzen Weltgesundheits- und Welternährungsorganisation auf das Instrument der Risikoanalyse. Mit den Standards des Codex Alimentarius wollen sie die Sicherheit der Lebensmittel in einem globalisierten Handel auf internationaler Ebene weiter verbessern.
Rund 150 Teilnehmer aus knapp 20 europäischen und außereuropäischen Ländern, darunter Vertreter aus Politik, Wissenschaft, Überwachung, Lebensmittelwirtschaft und Verbraucherschutz, trafen sich am 10. und 11. Oktober im BgVV, um über die praktische Umsetzung dieses Konzepts zu diskutieren. Hintergrund der Konferenz ist die Globalisierung des Handels mit Lebensmitteln, die im Interesse des Verbraucherschutzes, aber auch aufgrund internationaler Vorgaben durch die Welthandelsorganisation nach weltweiten hygienischen Standards und einem einheitlichen, systematischen Umgang mit potentiellen Risiken verlangt.
Allein in Deutschland werden jährlich rund 200.000 Erkrankungsfälle gemeldet, die durch Lebensmittel verursacht wurden. Im Rahmen des "WHO Surveillance Programme for Control of Foodborne Infections and Intoxications in Europe", eines im Jahr 1980 eingerichteten und vom BgVV koordinierten Überwachungsprogramms, wurden von 1993 bis 1998 21.000 Ausbrüche gemeldet, bei denen der Erreger ermittelt werden konnte. Die Zahl der Erkrankungen mit unbekanntem Erreger lag deutlich höher. Von Grönland über den Mittelmeerraum bis zur Pazifikküste melden heute 50 Länder ihre Daten im Rahmen des Überwachungsprogramms an das Bundesinstitut. Vom kommenden Jahr an soll das Überwachungsprogramm stärker als bisher quantitative Daten liefern. Neben den Angaben zur erkrankten Person und dem ursächlich beteiligten Lebensmittel sollen sie dann auch Aussagen zur Charakterisierung des Erregers und zur Keimzahl im ursächlich beteiligten Lebensmittel enthalten.
Aus den Daten des Surveillance-Programms lassen sich folgende Trends ableiten:
Immer noch nimmt die Salmonellose unter den lebensmittelbedingten Erkrankungen eine zentrale Stellung ein. Salmonellen sind für 70% aller gemeldeten Ausbrüche verantwortlich. Während sich die Zahlen in den meisten europäischen Ländern auf einem hohen Niveau eingependelt haben, steigen sie in einigen osteuropäischen Ländern weiter an.
Neben den Salmonellen gewinnen die Erkrankungen durch Campylobacter-Keime an Bedeutung. In einer Reihe von Ländern wie den Niederlanden, den skandinavischen Ländern und der Schweiz haben sie die Salmonellen als Ursache von Lebensmittelinfektionen zahlenmäßig bereits überflügelt. Neben tatsächlich gestiegenen Inzidenzraten tragen eine verbesserte Diagnostik und ein gestärktes Bewußtsein der Ärzte über die Bedeutung des Erregers zu dieser Entwicklung bei.
Besonders in Teilen Zentral- und Osteuropas spielt daneben der Botulismus eine bedeutende Rolle. Die Erkrankung wird vor allem durch im Haushalt zubereitete Konserven und durch geräucherte Fischerzeugnisse verursacht, da die Sporen des toxinbildenden Keims sehr hitzebeständig sind. In Deutschland sind Botulismus-Fälle weit seltener. Hier wurden 1998 nur 21 Fälle von Botulismus gemeldet, 1999 waren es 19 Fälle.
In Osteuropa haben auch die Trichinen nach wie vor eine hohe Bedeutung im Krankheitsgeschehen. Allein zwischen 1993 und 1998 wurden aus diesen Ländern rund 21.000 Fälle von Trichinose gemeldet.
Der Ort der Lebensmittelinfektion hängt eng mit den regionalen Lebens- und Verzehrsgewohnheiten zusammen. So infizieren sich beispielsweise in den Niederlanden die meisten Menschen in Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung (Kantinen oder Restaurants), in anderen Ländern dagegen überwiegend im privaten Haushalt. Die skandinavischen Länder nennen Reiseerkrankungen als zentrale Ursache für lebensmittelbedingte Erkrankungen.
Die Inhomogenität der Daten stellt bei der Auswertung ein Problem dar. Eine wesentliche Verbesserung der Datenqualität wird in Deutschland vom Inkrafttreten des Infektionsschutzgesetzes im Januar 2001 erwartet. Das Gesetz schreibt nicht nur die Meldepflicht für eine Reihe von Infektionskrankheiten und den Nachweis bestimmter Erreger fest, sondern sieht erstmals auch Einzelfallmeldungen nach standardisierten Falldefinitionen vor. Außerdem ist anzugeben, ob die Erkrankungen im Zusammenhang mit dem Verzehr von Lebensmitteln stehen können. Die elektronische Übermittlung der Daten an das Robert Koch-Institut wird den Zeitverzug in der Meldung und die Reaktionszeit deutlich verkürzen. Gemeinsam mit den am BgVV eingehenden europäischen Daten bilden diese Informationen eine wissenschaftlich fundierte Basis zur Bewertung von Risiken im Rahmen des Infektionsgeschehens.
Die Daten sind ein wichtiger Bestandteil der Risikoanalyse. Auf ihrer Basis bewertet das BgVV potentielle Risiken und berät das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) in Fragen des Risikomanagements. Das Bundesministerium für Gesundheit sieht das BgVV hier in einer Schlüsselposition: "Bei der Risikobewertung", so der Vertreter des BMG, Dr. Hans Dieter Böhm, "nimmt das BgVV eine zentrale Rolle ein". Die Analyse und Bewertung potentieller Risiken erlaubt gezielte Maßnahmen des Risikomanagements, um mit akzeptablem Mittel-aufwand den größtmöglichen Nutzen für den Verbraucher zu erreichen. Dies kann von Maßnahmen im Erzeuger- und Herstellungsprozess über solche der Produktsicherheit bis hin zur Aufklärung des Verbrauchers und damit des privaten Haushalts reichen. Hier sind auch die Verbraucherverbände gefordert.
Die Ergebnisse der Konferenz sollen in die europäische Gesetzgebung einfliessen. Als Konsequenz aus der Tagung wird Anfang des kommenden Jahres am BgVV eine Hygienekommission eingerichtet, der Vertreter aus Wissenschaft, Überwachung, Untersuchungsämtern, Ärzte- und Verbraucherschaft sowie der Wirtschaft angehören. Ihre Aufgabe wird es sein, in Fragen der mikrobiologischen Risikobewertung von Lebensmitteln mitzuwirken und das BgVV zu beraten. Die Ergebnisse der Kommissionsarbeit sollen im Rahmen der Risikokommunikation allen interessierten Kreisen zur Verfügung stehen.