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BgVV fordert Nachbesserungen bei der künftigen EU-Chemikalienpolitik

10/2001, 02.03.2001

Weißbuch bringt Verbesserungen für den Umweltschutz, schwächt aber die Position des Verbrauchers

Mitte Februar hat die Kommission der Europäischen Union ein Weißbuch zur Europäischen Chemikalienpolitik vorgelegt. Die darin skizzierten Grundzüge werden ihren Niederschlag in der künftigen europäischen Gesetzgebung finden. Zentraler Punkt ist die Einführung einer von einem hohen Produktionsvolumen abhängigen Zulassungspflicht für sogenannte "Altstoffe". Während die im Weißbuch vorgeschlagenen Maßnahmen für den Umweltschutz wichtige Verbesserungen bringen, stellen sie einen klaren Rückschritt für den gesundheitlichen Verbraucherschutz dar. Stoffe mit krebserzeugenden oder fortpflanzungsgefährdenden Eigenschaften, die heute in Verbraucherprodukten - zu Recht - verboten sind, könnten künftig erst nach langwierigen Verhandlungen über die Versagung der Zulassung vom Markt ferngehalten werden. Die Kontrolle über neu auf den Markt kommende Chemikalien wird faktisch aufgegeben. Das BgVV hält Nachbesserungen bei den Kommissionsvorschlägen für unumgänglich, um das gegenwärtige Niveau des Verbraucherschutzes zu halten.

Die im Weißbuch enthaltenen Vorschläge zur Chemikalienpolitik versuchen zwei Zielsetzungen gerecht zu werden: Dem Schutz der Gesundheit und der Umwelt einerseits und dem Erhalt und der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der weltweit führenden europäischen Chemieindustrie andererseits. Das Konzept sieht vor, innerhalb der nächsten 12 Jahre Daten zu den toxikologischen Eigenschaften von gut einem Drittel der 100.000 Alt-Chemikalien zu erheben, die bereits vor Inkrafttreten des Chemikaliengesetzes im Jahre 1981 ungeprüft auf den europäischen Markt kamen. Die Anforderungen an den Umfang der Information sind produktionsmengenabhängig gestaffelt. In der Praxis bedeutet dies, dass für rund 30.000 Chemikalien innerhalb der nächsten 12 Jahre Basisdaten zur Einschätzung der akuten und chronischen Giftigkeit vorgelegt werden müssen. Nur für maximal 5.500 Altstoffe müssen innerhalb der nächsten 10 bis 12 Jahre Daten zum möglichen fortpflanzungsgefährdenden und krebserzeugenden (für ca. 2.500 der 5.500 Stoffe) Potenzial vorgelegt werden. Mehr als 60.000 Altstoffe bleiben von der Regelung aufgrund geringer Produktionsvolumen unberührt.

Berücksichtigt man, dass eine einzige Studie zur Kanzerogenität zwei bis fünf Jahre dauert, scheint das Vorhaben, 5.500 Stoffe binnen 12 Jahren bewerten zu wollen, mehr als ehrgeizig. Zum Vergleich: Das weltweit umfangreichste toxikologische Testprogramm, das National Toxicology Program der Vereinigten Staaten, benötigte zur Testung auf krebserzeugende Wirkung von nur rund 500 Chemikalien 20 Jahre. Nach Ansicht des BgVV müsste die nicht fristgerechte Vorlage der Daten durch die Industrie deutliche Konsequenzen nach sich ziehen. Nur so könnte sichergestellt werden, dass die Hersteller alle Anstrengungen unternehmen, um den Zeitrahmen einzuhalten.

Trotz der genannten konzeptionellen Schwächen, begrüßt das BgVV die geplante beschleunigte Bewertung der Altchemikalien. Das Institut aber wiederholt seine Forderung, für die Öffentlichkeit schon jetzt transparent zu machen

  • für welche Chemikalien bereits welche Tests durchgeführt wurden,
  • für welche Chemikalien bereits eine Bewertung und ggf. Einstufung erfolgen konnte
  • für welche Chemikalien eine Bewertung und Einstufung bislang nicht möglich war, weil von den Herstellern keine toxikologischen Daten vorgelegt wurden. Da damit auch Hinweise auf mögliche Gefahren fehlen, erscheinen diese Chemikalien fälschlicherweise als sicher.

Ebenso wie die EU-Kommission in ihrem Weißbuch fordert das BgVV die Hersteller nachdrücklich auf, für die erforderlichen toxikologischen Prüfungen, wo immer dies möglich ist, Alternativmethoden zum Tierversuch einzusetzen. Durch die Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch (ZEBET) unterstützt das BgVV die Entwicklung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch und entwickelt darüber hinaus auch eigene Methoden.

Für die gesundheitliche Bewertung chemischer Neustoffe stellen die Empfehlungen im Weißbuch erhebliche Abstriche vom bisherigen Sicherheitsstandard für den Verbraucher dar. Das Chemikaliengesetz schreibt derzeit vor, dass bei jeder Neuzulassung sogenannte "Basisdaten" vorgelegt werden müssen. Auf der Basis dieser Daten dürfen rund 70% der Neustoffe wegen ihrer Giftigkeit, erbgutschädigenden, kontaktallergenen oder hautreizenden Wirkung nur mit Einschränkungen oder überhaupt nicht in Verbraucherprodukten verarbeitet werden. Diese Daten müssten künftig nur noch für Stoffe mit einem Produktionsvolumen von über 10 Tonnen pro Jahr (nur 10% der Neuchemikalien) vorgelegt werden. Für 90% der Neustoffe würden keinerlei toxikologische Daten mehr vorgelegt. Damit wären keine Informationen zu den schädlichen Eigenschaften von jährlich rund 200 neu auf den Markt drängenden Chemikalien verfügbar. Binnen kurzer Zeit gäbe es in der EU ein neues "hausgemachtes" Altstoffproblem.

Das Argument, die bisherigen Sicherheitsstandards für den Verbraucher würden die Innovationskraft der chemischen Industrie hemmen, lässt das BgVV angesichts des operativen Ergebnisses der deutschen chemischen Industrie nicht gelten. Auch nach heutiger Rechtslage kann eine Vermarktung erfolgen, wenn dagegen von Behördenseite nicht binnen 60 Tagen wegen gesundheitlicher Bedenken Widerspruch eingelegt wurde.

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