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BgVV fordert besseren Verbraucherschutz beim Einsatz von Pyrethroiden

08/1995, 30.03.1995

Strengere Rechtsgrundlagen und gezielte Maßnahmen für mehr Sicherheit im Umgang mit Pyrethroiden forderten die Teilnehmer einer fachöffentlichen Anhörung des Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) gestern in Berlin. Anders sei der gesundheitliche Verbraucherschutz in Zukunft nicht mehr zu gewährleisten. 132 Einzelmitteilungen über mögliche Vergiftungen im Zusammenhang mit der Anwendung von Pyrethroiden zur Schädlingsbekämpfung seit August 1990 waren der Anlaß für die Veranstaltung, deren Ziel eine Neubewertung des gesundheitlichen Risikopotentials dieser Wirkstoffgruppe auf der Basis neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse war. Eingeladen waren Fachleute aus Wissenschaft, Industrie und Politik sowie Vertreter von Verbraucherschutzorganisationen und Interessengemeinschaften.

In ihrem Ergebnis bestätigte die Anhörung die Empfehlungen, die das BgVV an das Bundesministerium für Gesundheit zur Umsetzung auf nationaler Ebene gegeben hat. Diese im europäischen Rahmen zu vertreten, ist ein weiterer Schritt, der auf politischer Ebene folgen muß.

Pyrethroide werden in Schädlingsbekämpfungsmittel eingesetzt. Die synthetisch hergestellten Stoffe ähneln dem in Chrysanthemen vorkommenden Pyrethrum, sind gegenüber diesem aber wirksamer und langlebiger. Nach ihren Halbwertzeiten wird in Kurz- und Langzeitpyrethroide unterschieden. Letztere sind gesundheitlich kritischer zu bewerten, weil ihre Rückstände in Innenräumen gesundheitliche Probleme verursachen können. Nach Angaben der Hersteller werden in Deutschland pro Jahr rund 8 Tonnen Kurzzeit- und 4 Tonnen Langzeitpyrethroide in Schädlingsbekämpfungsmitteln für den häuslichen Bereich eingesetzt. Dazu kommen noch einmal rund 2,6 Tonnen des Langzeitpyrethroids Permethrin, mit dem Wollteppiche und wollhaltige Auslegware gegen Mottenfraß behandelt werden. Wollhaltige Kleidungsstücke werden nach Angaben der Hersteller in Deutschland zu rund 98 Prozent nicht mit Pyrethroiden behandelt. Nach Ansicht des BgVV sollte auf den Einsatz von Pyrethroiden bei Kleidungsstücken grundsätzlich verzichtet werden.

  • Pyrethroide sollten im Innenraum äußerst restriktiv angewandt werden. Langzeitpyrethroide gehören nach Ansicht des BgVV nicht in die Hand des Laien und müssen der Anwendung durch professionelle Schädlingsbekämpfer vorbehalten bleiben.
  • Da es auch bei professioneller Anwendung in der Vergangenheit immer wieder zu vermeidbaren gesundheitlichen Belastungen gekommen ist, hält das BgVV eine bessere Aus- und Fortbildung der Schädlingsbekämpfer für dringend erforderlich.
  • Für Teppiche und Auslegware aus Wolle, die mit Pyrethroiden behandelt sind, fordert das BgVV eine Kennzeichnungspflicht, die es dem Verbraucher ermöglicht, selbst zu entscheiden, ob er ein behandeltes oder unbehandeltes Produkt kaufen will. Ein völliger Verzicht auf den Einsatz von Permethrin zur Imprägnierung der Waren ist nach Ansicht der Industrie nicht möglich. Durch die Behandlung werde nicht nur das Produkt in seinem Wert geschützt, es werde auch ein wichtiger Beitrag zum Schutz vor möglichen schädlingsbedingten Allergien geleistet.
  • Neben der Kennzeichnungspflicht sprachen sich die Teilnehmer der Anhörung ausdrücklich für eine verbesserte Produktinformation und klare Warnhinweise für Schädlingsbekämpfungsmittel aus.
  • Das BgVV hält darüber hinaus eine Mitteilungspflicht für Hersteller, die Schädlingsbe-kämpfungsmittel auf den Markt bringen wollen, für erforderlich. Da die Mehrzahl der eingesetzten Mittel keiner Zulassungspflicht unterliegen, sind sie ohne staatliche Prüfung auf Wirksamkeit und Unbedenklichkeit im Handel. Dem BgVV fehlen damit wichtige Angaben über Produkte, ihre Wirkstoffe und Anwendungsgebiete, um präventive Maßnahmen zum Verbraucherschutz, aber auch Gegenmaßnahmen im Vergiftungsfall formulieren zu können.

Pyrethroide können bei empfindlichen Personen schon in geringer Konzentration zu Gesundheitsstörungen führen. Im Vordergrund stehen Reizungen der Schleimhäute, der Atemwege und der Augen. Es kann zu Mißempfindungen und Taubheitsgefühlen der Haut, gelegentlich zu Benommenheit und Kopfschmerz kommen. Die beobachteten Symptome gelten als reversibel.

Weitere Aufschlüsse über den Zusammenhang zwischen Pyrethroid-Belastungen und ihren gesundheitlichen Auswirkungen, insbesondere über mögliche chronische Folgeerkrankungen sollte eine Studie liefern, die das Bundesgesundheitsamt (BGA), jetzige BgVV, 1993 bei Prof. Altenkirch, Chefarzt der neurologischen Abteilung des Akademischen Lehrkrankenhauses Spandau der Freien Universität Berlin, in Auftrag gab. Die Ergebnisse der "Pyrethroid-Studie" liegen inzwischen vor und sollten im Rahmen der Anhörung präsentiert werden. Hierauf mußte verzichtet werden, nachdem einige der untersuchten Probanden ihre Zustimmung zur Veröffentlichung auch anonymisierter Daten verweigert hatten. Wegen des großen öffentlichen Interesses an den Studienergebnissen appellierte das BgVV an die Probanden, ihre Entscheidung zu überdenken.

Dennoch läßt sich schon heute sagen, daß die Toxikologie mit ihrer Risikobewertung bei Krankheiten, die durch Chemikalien verursacht werden, vielfach an ihre Grenzen stößt. Weitere epidemiologische Untersuchungen an beruflich exponierten Personen im klinischen Bereich anhand wissenschaftlich anerkannter Parameter und aussagekräftiger Untersuchungsverfahren sind deshalb dringend erforderlich. Forschungsbedarf besteht auch im Bereich der Analytik: Insbesondere die analytische Bestimmung von Pyrethroiden und ihren Stoffwechselprodukten in Körperflüssigkeiten des Menschen muß kurzfristig deutlich verbessert werden, um ein Monitoring zur tatsächlichen Belastungssituation zu ermöglichen. Hier sind insbesondere die staatlichen Forschungseinrichtungen gefordert, da für Pyrethroide zur Zeit fast ausschließlich Forschungsergebnisse der Industrie im Rahmen ihrer Herstellerhaftung vorliegen.

Mehr Aufmerksamkeit verdient nach Ansicht von Prof. Altenkirch das Multiple Chemical Sensitivity Syndrom (MCS)/(vielfache Chemikalienüberempfindlichkeit), das in den USA als umweltmedizinisches Krankheitsbild ausführlich beschrieben ist. Danach rufen bereits kleinste Mengen chemischer Substanzen, auf die die Allgemeinbevölkerung nicht reagiert, bei besonders empfindlichen Personen vielfache Krankheitssymptome hervor. Dieses Krankheitsbild sollte nach Meinung der Teilnehmer der Anhörung näher untersucht und in einem Sachverständigengespräch zwischen Wissenschaftlern und Ärzten behandelt werden. Eine gezielte Aus- und Fortbildung von Ärzten im Bereich umweltmedizinischer, insbesondere chemikalienbedingter Erkrankungen muß sich anschließen.

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