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Krebserregende Wirkung von eingeatmetem Formaldehyd hinreichend belegt

14/2006, 29.05.2006

BfR stellt Ergebnisse wissenschaftlicher Bewertung vor und empfiehlt neue Einstufung

Formaldehyd wird weltweit in hohen Mengen produziert und ist in vielen verbrauchernahen Produkten enthalten. Die Substanz entsteht außerdem in geringen Mengen im Zellstoffwechsel von Menschen und Tieren. Formaldehyd ist gesundheitsschädlich, es reizt die Schleimhäute und kann Krebs im Nasenrachenraum auslösen, wenn es eingeatmet wird. Das ist das Ergebnis einer Bewertung neuer Studien, die das Bundesinstitut für Risikobewertung heute der Öffentlichkeit vorgestellt hat. Das Institut sieht es als hinreichend bewiesen an, dass die Substanz im Nasenrachenraum Tumore auslösen kann, wenn sie eingeatmet wird, und schlägt deshalb eine Änderung der geltenden Einstufung vor. Die schädliche Wirkung von Formaldehyd ist konzentrationsabhängig. „Bei Raumluftwerten von oder unterhalb von 124 Mikrogramm Formaldehyd pro Kubikmeter ist praktisch keine krebsauslösende Wirkung mehr zu erwarten“, sagt der Präsident des Bundesinstituts, Professor Dr. Dr. Andreas Hensel. „Bei wiederholter, deutlicher Überschreitung dieses Wertes können gesundheitliche Risiken bestehen.“

Formaldehyd ist eine farblose Substanz, die bei Zimmertemperatur gasförmig vorliegt und einen typischen, stechenden Geruch aufweist, der noch in geringen Konzentrationen wahrgenommen wird. Die Substanz wirkt keimtötend, konservierend und desinfizierend und ist in zahlreichen Produkten des täglichen Lebens enthalten, zum Beispiel in Desinfektionsmitteln, Haushaltsreinigern, kosmetischen Mitteln, Farben und Lacken sowie in Bauprodukten.

Ergebnisse aus Tierversuchen ließen eine krebsauslösende Wirkung beim Menschen vermuten, in zahlreichen epidemiologischen Studien konnte aber kein erhöhtes Krebsrisiko nachgewiesen werden. Formaldehyd wurde deshalb als Substanz mit „begründetem Verdacht auf ein krebserzeugendes Potenzial“ eingestuft. Neuere, sehr umfangreiche Studien an Arbeitnehmern in den USA belegen nun aber eine expositionsabhängig erhöhte Sterberate durch Tumore im Nasenrachenraum. Spontan und mit Ausnahme bestimmter berufsbedingter Expositionen treten solche Tumore beim Menschen nur selten auf. Nach einer Neubewertung schlug die Internationale Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation (International Agency on Research of Cancer, IARC) deshalb vor zwei Jahren eine Einstufung von Formaldehyd als Humankanzerogen vor; die Begründung steht noch aus.

Das Bundesinstitut für Risikobewertung hat die Studienergebnisse zum Anlass genommen, die krebsauslösenden Risiken von Formaldehyd neu zu bewerten und dazu unter anderem ein Gutachten beim Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg in Auftrag gegeben. In Übereinstimmung mit dem Gutachten kommt das Institut zu dem Schluss, dass die Substanz beim Menschen Krebs auslösen kann, wenn sie eingeatmet wird, und schlägt eine entsprechende Einstufung vor. Diese Einschätzung teilt die für die Bewertung des chemischen Altstoffs zuständige Behörde in Frankreich.

Die krebsauslösende Wirkung von Formaldehyd geht mit einer Veränderung der Erbinformation einher. In der Vergangenheit wurde bei der Bewertung solcher Substanzen ein „vereinfachter Ansatz“ zugrunde gelegt: Jede Menge wurde als schädlich angesehen und kein Schwellenwert abgeleitet. Bei der vorliegenden Bewertung hat das BfR nun erstmals einen neuen konzeptionellen Ansatz gewählt, der eine differenziertere Betrachtung erlaubt: Der krebsauslösenden Wirkung von Formaldehyd liegen nämlich zwei biologische Mechanismen zugrunde: die zellschädigende Wirkung, auf die der Körper mit einer Zellwucherung reagiert, und die Veränderung der Erbinformation. Beide Mechanismen werden oberhalb einer bestimmten Menge gemeinsam wirksam. Auf der Basis von Daten, die am Tier und am Menschen erhoben wurden, hat das BfR deshalb unter Zugrundelegung der beiden Wirkmechanismen einen so genannten „safe level“ abgeleitet. Dieser liegt bei 0,124 Milligramm pro Kubikmeter Raumluft. Eine Luftkonzentration bis zu diesem Wert wird als eine Konzentration angesehen, bei der und unterhalb derer ein erhöhtes Risiko über dem Hintergrundrisiko praktisch nicht mehr zu erwarten ist. Bei wiederholter, deutlicher Überschreitung dieses Wertes können dagegen gesundheitliche Risiken bestehen.

Zur Risikobewertung unter Verbraucherschutzaspekten ist eine Abschätzung der Exposition des Menschen gegenüber Formaldehyd in seiner häuslichen Umgebung erforderlich. Die verfügbaren Daten zeigen, dass Pressspanplatten, neben anderen Bauprodukten, noch immer zu den bedeutenderen Expositionsquellen für Formaldehyd zählen. Die Belastung konnte in den vergangenen Jahren allerdings erheblich reduziert werden. Textilien tragen dagegen nur in geringem Umfang zur Belastung der Raumluft bei. Auch der Einsatz von Desinfektionsmitteln im privaten Haushalt kann im Hinblick auf die Formaldehyd-Belastung offenbar vernachlässigt werden. Ähnliches gilt für kosmetische Mittel. Insgesamt deuten die vorgestellten Daten darauf hin, dass die Raumluftbelastung zurückgegangen ist. Ob das auch für Extrembelastungen gilt, lässt sich heute noch nicht abschließend sagen.

Über die endgültige Einstufung von Formaldehyd entscheidet die Europäische Kommission. Sollte die EU dem Vorschlag Frankreichs und der Bewertung des BfR folgen, könnte sich dies auf die Verwendung der Substanz in verbrauchernahen Produkten auswirken.

Weitere Informationen zum Thema finden Sie unter www.bfr.bund.de, Menupunkt „Chemikalien/Chemikalienbewertung“.

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