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Toxikologische Beurteilung von chemischen Stoffen

Toxikologische Risikobewertungen werden durchgeführt, um mögliche gesundheitsschädliche Wirkungen chemischer Stoffe auf Menschen zu beurteilen. Zum einen wird durch experimentelle Untersuchungen das Gefährdungspotenzial ermittelt; zum anderen wird die Exposition abgeschätzt, d.h. die Art und das Ausmaß, in dem Menschen den chemischen Stoffen ausgesetzt sind. Aus der gemeinsamen Betrachtung von Gefährdungspotenzial und Exposition wird das tatsächliche Risiko abgeleitet.

Toxikologische Beurteilungen werden mithilfe von Tierversuchen (in vivo), von Zellkulturen (in vitro) oder von Struktur-Wirkungs-Beziehungen (SAR) durchgeführt. Im Allgemeinen werden Versuchsorganismen verschiedenen Mengen (Dosierungen, Konzentrationen) des zu untersuchenden Stoffs ausgesetzt. Dann wird geprüft, ob eine schädliche Wirkung aufgetreten ist. Wenn ja, wird eine Dosis-Wirkungs-Beziehung beschrieben:

  • Welches ist die höchste Dosis, bei der kein toxischer Effekt auftritt? [Fachbegriff NOAEL, "No observed adverse effect level"]
  • Welches ist die niedrigste Dosis mit beobachtetem toxischem Effekt? [Fachbegriff LOAEL, "Lowest observed effect level"].
  • Wie verläuft die Dosis-Wirkungskurve, insbesondere wie steil?

Endpunkte toxikologischer Untersuchungen

Chemische Stoffe können in Abhängigkeit von ihrer Wirkungsweise beim Menschen sehr unterschiedliche Gesundheitsschäden verursachen. Deshalb werden viele verschiedene Schadwirkungen experimentell untersucht. Welche Studien für die jeweiligen Stoffe, Produkte oder Zubereitungen erforderlich sind, ist gesetzlich festgelegt. Wie die Studien durchzuführen sind, wird in der Prüfmethoden-Verordnung (EG) Nr. 440/2008 beschrieben; die Qualität der Studien wird durch die so genannte Gute Labor-Praxis (GLP) überprüft.

Folgende Studien können durchgeführt werden:

  • Toxikokinetik: Aufnahme von chemischen Stoffen in den Körper, ihre Verteilung, Verstoffwechslung und Ausscheidung (ADME: absorption, distribution, metabolisation, excretion);
  • Akute Toxizität: schädliche Wirkung nach einmaliger Aufnahme;
  • Haut- und Augenreizung;
  • Sensibilisierung: Auslösen allergischer Reaktionen;
  • Subchronische Toxizität: schädliche Wirkung bei wiederholter Aufnahme;
  • Chronische Toxizität: schädliche Wirkung nach langfristiger Gabe;
  • Genotoxizität: schädliche Veränderungen des Erbguts;
  • Kanzerogenität: krebsauslösende Wirkung;
  • Reproduktionstoxizität, Entwicklungstoxizität: Beeinträchtigung der Fortpflanzungsfähigkeit; Schädigung der Nachkommen;
  • Immuntoxizität: schädliche Wirkung auf das Immunsystem;
  • Endokrin-schädliche Wirkungen: gesundheitsschädliche Wirkungen, die über eine Beeinflussung des Hormonsystems ausgelöst werden;
  • Neurotoxizität: schädliche Wirkungen auf das Nervensystem;

Nachdem solche Studien durchgeführt wurden, weiß man, ob ein Stoff zum Beispiel die Leber oder die Niere schädigen, Krebs auslösen kann oder die Embryonalentwicklung beeinträchtigen kann, welcher Aufnahmeweg kritisch ist und ab welcher Dosis die schädlichen Wirkungen im experimentellen Modell auftreten. Wenn die Untersuchungen zu Ergebnissen führen, die nicht eindeutig interpretierbar sind, werden weitere gezielte Experimente durchgeführt, z.B. zum Wirkmechanismus.

Unter dem Aspekt des Tierschutzes verfolgen alle aktuellen gesetzlichen Regelungen zur Chemikaliensicherheit das Ziel, schädliche Stoffeigenschaften mit einem Minimum an eingesetzten Versuchstieren zu ermitteln.

Zu diesem Zweck werden einerseits neuartige Prüfmethoden entwickelt und validiert, die dazu beitragen sollen, bestehende Verfahren zu verfeinern bzw. ihren Einsatz zu verringern oder ganz abzuschaffen("Reduce, Refine, Replace" – "3R"-Prinzip).

Zum anderen können Erkenntnisse aus früheren toxikologischen Studien ausgewertet und auf neue, vergleichbare Stoffe übertragen werden. Hierbei reicht das methodische Spektrum von der einfachen Ergebnisübertragung ("Read Across") über die Auswertung von Gruppentrends ("Chemical Grouping") bis hin zu sogenannten "(Quantitativen) Struktur-Wirkungs-Beziehungen“ ((Q)uantitative Structure-Activity Relationships, (Q)SAR), welche mögliche gesundheitsschädliche Wirkungen (oder deren Abwesenheit) für einen größeren Substanzkreis vorhersagen. (Eine Übersicht zur Thematik findet sich auf der OECD-(Q)SAR-Seite).

Wenn in den toxikologischen Studien gesundheitsschädliche Eigenschaften erkannt wurden, werden die Stoffe gemäß der EU-Verordnung Nr. 1272/2008 eingestuft und gekennzeichnet.

Ableitung von Grenzwerten

Für die meisten toxischen Wirkungen wird davon ausgegangen, dass sie einem Schwellenwert unterliegen; d.h. der gesundheitsschädliche Effekt tritt nur ein, wenn eine bestimmte Dosis (Schwelle) überschritten wird; Expositionen unterhalb dieser Dosis rufen keinerlei schädlichen Effekt hervor. Für Stoffe mit solchen Schwellenwert-Wirkungen können sichere Grenzwerte abgeleitet werden.

Um aus einer Studie an Tieren einen Grenzwert für Menschen abzuleiten, geht man von dem so genannten NOAEL aus ("No Observed Adverse Effect Level"), das ist die höchste Dosierung ohne schädliche Wirkung. Der NOAEL wird durch einen (Un)Sicherheitsfaktor geteilt, der Unterschiede zwischen Tier und Mensch ebenso berücksichtigen soll wie Unterschiede zwischen den Individuen (d.h. den einzelnen Menschen). Meist wird dafür ein Faktor von 100 verwendet. So ist gewährleistet, dass auch besonders empfindliche Personen geschützt sind. Wenn ausreichendes Wissen zur Wirkungsweise von Stoffen vorliegt (z.B. zum Metabolismus im Versuchstier und im Menschen), können statt pauschaler (Un)Sicherheitsfaktoren spezifische Faktoren eingesetzt werden.

Typische Grenzwerte für gesundheitlich annehmbare Expositionen sind:

  • ADI steht für "Acceptable Daily Intake" (duldbare tägliche Aufnahmemenge) und gibt die Menge eines Stoffes an, die VerbraucherInnen täglich und ein Leben lang ohne erkennbares Gesundheitsrisiko aufnehmen können. Der ADI stellt einen Grenzwert für die Langzeit-Exposition von VerbraucherInnen dar.
  • ARfD steht für "Akute Referenzdosis" und gibt die Menge eines Stoffes an, die VerbraucherInnen bei einer Mahlzeit oder bei mehreren Mahlzeiten über einen Tag ohne erkennbares Gesundheitsrisiko mit der Nahrung aufnehmen können. Der ARfD stellt einen Grenzwert für die Kurzzeit-Exposition von VerbraucherInnen dar.
  • AOEL steht für "Acceptable Operator Exposure Level" und stellt einen Grenzwert für die Exposition bei der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln dar.
  • AEL steht für "Acceptable Exposure Level" und stellt einen Grenzwert für die Exposition gegenüber Bioziden dar.
  • DNEL steht für „Derived No Effect Level“ und ist die aus toxikologischen Daten abgeleitete Expositionshöhe eines Stoffes, unterhalb der die menschliche Gesundheit nicht beeinträchtigt wird und oberhalb der ein Mensch nicht exponiert werden sollte.

Toxische Wirkungen ohne Schwellenwert

Nicht alle gesundheitsschädlichen Wirkungen unterliegen einem Schwellenwertmechanismus. Für erbgutverändernde (genotoxische) Wirkungen wird generell davon ausgegangen, dass sie keinem Schwellenwert unterliegen. Da viele Stoffe, die erbgutverändernd wirken, auch Krebs erzeugen können, wird grundsätzlich auch krebserzeugenden Stoffen sicherheitshalber eine Wirkungsweise ohne Schwellenwert unterstellt. Dies bedeutet, dass auch sehr niedrige Dosierungen eines krebserzeugenden Stoffes ihre schädigende Wirkung entfalten können - wobei die Wahrscheinlichkeit der Wirkung natürlich mit der höhe der Dosierung zunimmt. Aus Dosis-Wirkungs-Beziehungen, die in Tierexperimenten oder epidemiologisch an Menschen erhoben wurden, kann die Stärke der krebserzeugenden Wirkung berechnet werden.

Für solche Stoffe ohne Schwellenwert-Wirkungen kann keine Exposition bestimmt werden, unterhalb der die menschliche Gesundheit nicht beeinträchtigt werden kann. Ein sicherer Grenzwert ist nicht ableitbar. Zur Risikocharakterisierung kann eine Dosierung mit minimaler schädlicher Wirkung berechnet werden (DMEL, "Derived Minimal Effect Level“, s. Guidance on information requirements and chemical safety assessment, Chapter R.8).

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